Vom VOB e.V. kommentierte Antwort der Bundesregierung auf
die Kleine Anfrage BT 20/5190
1. Frage:
Plant die Bundesregierung das Stiftungsgesetz im Sinne der von Deutschland unterzeichneten UN -
Behindertenrechtskonvention „Nicht ohne uns über uns“
dahingehend zu ändern, dass die Leistungsbeziehenden als Betroffene durch zwei Sitze im Stiftungsrat und einen Sitz im Stiftungsvorstand Mitspracherecht in eigener Sache erhalten, und wenn ja, wann? Wenn dies nicht vorgesehen ist, aus welchen Gründen nicht?
Antwort der Bundesregierung:
Die Bundesregierung sieht die Betroffenen durch die Mitglieder des Stiftungsrates, die auf Vorschlag der überörtlichen Hämophilieverbände benannt werden, als ausreichend vertreten an. Durch sie werden auch die Interessen von Nicht-Blutern repräsentiert, da das HIVHG im Hinblick auf die zu gewährenden Leistungen keine Unterschiede zwischen Hämophilen und Nicht-Blutern macht.
Stellungnahme des VOB e.V.:
Unsere Erfahrungen zeigen, dass sich Nicht-Hämophile nicht von den Hämophilieverbänden vertreten fühlen und diese eher nicht um Hilfe ersuchen. Gleichzeitig haben die großen
Hämophilieverbände in den letzten Jahren wenig unternommen, um die schlechte Situation der im Blutskandal geschädigten
Menschen zu verbessern. Betrachtet man die Zahl der mit HIV infizierten Personen, sind etwa die die Hälfte der Personen nicht hämophil und beziehen zwar die gleichen Hilfszahlungen, sind aber de facto nicht in der Stiftung vertreten. Nachdrücklich fordert der Verband der Opfer des Blutskandals deshalb
für diese Personengruppe die Möglichkeit, ihre Belange selbst in der Stiftung Humanitäre Hilfe zu vertreten. Auch wenn also das HIVHG keinen Unterschied zwischen den Personengruppen macht, bestehen in der Realität gravierende Unterschiede in der Teilhabe dieser beiden Gruppen.
2. Frage:
Wie kommt die Bundesregierung dem 1976 vom BVerfG aufgestellten „Wachsamkeitsgrundsatz“ (8. Juli 1976 BVerfGE 42, S. 263) in ihrer Verantwortung für die Leistungsbeziehenden der Stiftung „Humanitäre Hilfe für
durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“
bezüglich der Hilfszahlungen
und der auf ihre Bedarfe zugeschnittene[n]
medizinische[n] und soziale[n] Versorgung
nach?
Antwort der Bundesregierung:
Ungeachtet dessen, ob der in dem
zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts
zur Conterganstiftung
aufgestellte „Wachsamkeitsgrundsatz“ des Gesetzgebers auch in Bezug auf die HIV-Stiftung zur
Anwendung kommen muss,
ist der Gesetzgeber dem durch die
Neufassung des HIVHG im Jahr 2017
nachgekommen.
Durch die alleinige
Übernahme der Finanzierung der HIV-Hilfeleistungen durch den Bund
ab dem Jahr 2019
und die
Anpassung der HIV-Hilfen entsprechend der
Renten der gesetzlichen Rentenversicherung
seit dem 1. Juli 2019 (vgl.
§ 16 Absatz 6 HIVHG), wurden die Leistungen für die Zukunft gesichert
und die
finanzielle
Lage
der Leistungs-
empfängerinnen und Leistungsempfänger verbessert.
Dies
wird
der
durch das HIVHG
übernommenen
Verantwortung,
aus humanitären und sozialen Gründen Hilfeleistungen
zu zahlen, gerecht.
Stellungnahme des VOB e.V.:
Der VOB e.V. erinnert daran, dass die Neufassung des HIVHG 2017 und die Anpassung der Hilfen ab 2019 keineswegs dem Wachsamkeitsgrundsatz folgend, sondern auf massiven Druck der Geschädigten und mit Unterstützung einzelner engagierter Mitglieder des Bundestags zustande gekommen sind. Viele
Abgeordnete haben damals schon die Anpassungen als Minimalkonsens bezeichnet und ausdrücklich
weitere Anpassungen erwartet. Diese sind nicht erfolgt, obwohl die von der Bundesregierung bereits 2013 zu diesem Thema initiierte Prognos-Studie deutlich höhere und mit zunehmendem Alter (somit auch Erkrankungsdauer) steigende Bedarfe ermittelt hat. Das als schnelle Nothilfe unter Zeit-
und Handlungsdruck in der akuten krisenhaften Situation der
1990er Jahre konzipierte HIVHG muss dringend umgewandelt werden in ein tragfähiges Gesetz, das die dauerhafte Unterstützung der im Blutskandal Geschädigten unter Berücksichtigung der sich geänderthabenden Umstände und Bedarfe sicherstellt sowie in Zukunft sicherstellen wird. Nur so kann das
HIVHG der „Verantwortung,
aus humanitären und sozialen Gründen Hilfeleistungen
zu zahlen“ (s.o.) gerecht werden.
3. Frage:
Gibt es konkrete Pläne
der
Bundesregierung die Einrichtung und Finanzierung eines Kompetenzzentrums für die Opfer des Blutskandals auf den Weg
zu bringen, welches die aus dem Wachsamkeitsgrundsatz abgeleitete Fürsorgepflicht gegenüber den Geschädigten wie bei Contergan auch mit umfassender medizinischer und
sozialer Versorgung wahrnimmt, und wenn ja, wie lautet der Zeitplan dafür? Wenn sie dies nicht auf den Weg bringen will,
aus
welchen Gründen nicht?
Antwort der Bundesregierung:
Nein. Der Aufbau von Kompetenzzentren gehört
anders als bei der
Conterganstiftung
nicht in den Aufgabenbereich der HIV-Stiftung.
Darüber hinaus verfügt die Stiftung über keine finanziellen Mittel
für den Ausbau von Kompetenzzentren.
Stellungnahme des VOB e.V.:
Dass die Errichtung und der Unterhalt von Kompetenzzentren nicht von der Stiftung getragen werden, ist dem VOB e.V. bekannt. Auch aus diesem Grund fordert der VOB e.V. eine Novellierung des HIVHG, die diesen Punkt mit aufnimmt und die Stiftung mit der Errichtung von Kompetenzzentren beauftragt.
Ebenso müssen die erforderlichen Mittel dazu eingeplant werden.
4. Frage:
Plant die Bundesregierung konkrete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass eine umfassende psychosoziale Betreuung der noch lebenden Geschädigten und ihrer Angehörigen sichergestellt ist, und wenn ja, welche?
Antwort der Bundesregierung:
Nein. Die Sicherstellung der psychosozialen Betreuung gehört nicht
in den Aufgabenbereich der HIV-Stiftung.
Stellungnahme des VOB e.V.:
Dem VOB e.V. ist bekannt, dass die Stiftung laut HIVHG nicht mit der Sicherstellung der psychosozialen Betreuung betraut ist. Deswegen fordert der VOB e.V. auch zu diesem Punkt eine Novellierung des HIVHG, das von einer schnellen Notlösung zu einer bedarfsorientierten Versorgungsinstanz umgebaut
werden muss.
5. Frage:
Plant die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass
allein von 1995 bis
2014
der inflationsbedingte Wertverlust der Hilfszahlungen
bereits
bei
23 Prozent
lag
(vgl. Prognos-Studie, S. 73)
eine Anpassung des HIVHG, um diesen Wertverlust künftig auszugleichen?
6. Frage:
Plant
die Bundesregierung
eine Anpassung des HIVHG, um
die Hilfszahlungen an die tatsächlich
gestiegenen
Bedarfe (vgl. das Conterganstiftungsgesetz) anzupassen und substanziell
zu erhöhen, und wenn ja, wann
und
welche
Volumina plant die Bundesregierung
hierbei?
Wenn dies nicht vorgesehen
ist, aus welchen Gründen nicht?
Antwort der Bundesregierung:
Die
Fragen 5 und 6 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Es sind keine Maßnahmen geplant, die über die
Anpassung der HIV-Hilfen entsprechend der Renten der
gesetzlichen Rentenversicherung
gem. § 16 HIVHG hinausgehen.
Stellungnahme des VOB e.V.:
Der VOB e.V. sieht Frage 6 nicht vollständig beantwortet, die Bundesregierung hat keinen Grund genannt, warum die erforderliche Anpassung der Hilfszahlungen nicht vorgesehen ist. Hier sehen wir Erklärungsbedarf. Wie bereits oben erwähnt, halten wir eine Novellierung des HIVHG für dringend
notwendig. Maßnahmen, die über den Minimalkonsens der Anpassung der HIV-Hilfen entsprechend der gesetzlichen Renten hinausgehen (vgl. Fragen 2, 3, 4), sind unverzüglich zu planen und durchzuführen.
7. Frage:
Warum beharrt
nach Kenntnissen der Bundesregierung
die Stiftung
„Humanitäre Hilfe“ auf der nach jahrzehntelanger Infektion
nach Auffassung
von an
die
Fragesteller
herangetretenen Personen
obsolet gewordenen Unterscheidung zwischen einer Infektion mit dem HIV-Virus und der AIDS-Erkrankung (vgl. § 15 der Satzung der Stiftung, „Anspruchsberechtigte Personen“, online
abrufbar
unter
https://www.dhg.de/fileadmin/dokumente/hiv/Neufassung_HIV- Hilfegesetz.pdf), die für alle
Geschädigten erhebliche finanzielle
Einbußen bedeutet?
Antwort der Bundesregierung:
Die
Differenzierung
zwischen HIV-infizierten Personen und AIDS-erkrankten Personen ist in § 16 Absatz 1 HIVHG vorgegeben.
Stellungnahme des VOB e.V.:
Anders als zum Zeitpunkt der Erstellung des HIVHG, zu dem die Unterscheidung zwischen HIV-infiziert und AIDS-erkrankt medizinisch nachvollziehbar war, hat sich durch medizinischen Fortschritt einerseits, aber auch durch die Folgen der jahrzehntelangen Medikation und der psychosozialen Belastungen die Lage der beiden Personengruppen weitestgehend angeglichen. Erneut sieht der VOB e.V. den zwingenden Bedarf, das HIVHG den veränderten Bedingungen anzupassen und §16 Abschnitt 1 entsprechend zu ändern.
8. Frage:
Warum werden mit Hepatitis-C (Hep-C)-Infizierte
in Folge verunreinigter
Blutprodukte bis heute
- im Gegensatz zu Ländern wie z.
B. Großbritannien
- nicht entschädigt?
Will die Bundesregierung das nachholen?
Wenn nein, aus
welchen Gründen nicht?
9. Frage:
Plant
die Bundesregierung
konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die Menschen zu identifizieren, die in Folge verunreinigter Blutprodukte z.
B. bei
operativen Eingriffen mit Hep-C infiziert wurden und zu keiner klassischen
Risikogruppe gehören, aber unwissentlich auch ihre Angehörigen angesteckt
haben können, und wenn ja, welche?
Antwort der Bundesregierung:
Die Fragen 8 und 9 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Die Bundesregierung nimmt die Anliegen der Betroffenen ernst.
Eine Entschädigung der mit Hepatitis-C-Infizierten infolge verunreinigter Blutprodukte ist im HIVHG nicht vorgesehen, war jedoch in
der Vergangenheit bereits mehrfach Gegenstand parlamentarischer
Untersuchungen und Beratungen, ohne dass bisher gesetzgeberischer Handlungsbedarf hergeleitet wurde. Die Bundesregierung verfolgt hierzu die aktuellen Diskussionsprozesse und insbesondere die
derzeitige Meinungsbildung im parlamentarischen Raum zu dieser
komplexen Angelegenheit weiterhin.
Stellungnahme des VOB e.V.:
Der VOB e.V. fordert den Gesetzgeber dazu auf, auch in Bezug auf Hilfszahlungen für HCV-Infizierte das HIVHG umgehend zu ändern. Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Bundesregierung die aktuelle Diskussion verfolgt. Eine Begründung für die zögerliche Haltung der Bundesregierung können wir der Antwort nicht entnehmen. Mit unserem Erfahrungswissen wollen wir weiterhin zur parlamentarischen Meinungsbildung im Sinne der geschädigten Menschen beitragen. Wir bieten unsere konstruktive Mitarbeit in dieser komplexen Problematik an. Die Zeit drängt und eine mutmaßlich erhebliche Anzahl von unerkannt HCV-Infizierten muss schnell gefunden, therapiert und entschädigt werden.
Dazu schlagen wir eine konzertierte Aktion von Regierung, Betroffenenverbänden, Mediziner_innen, ggf. Krankenkassen und Pharmaunternehmen vor, die Liste wäre zu ergänzen.
10.
Frage:
Wann wird
ggf.
die fehlende Information über das Infektionsrisiko mit Hep-C in Folge des Blutskandals auch für Nicht-Risikogruppen in der Aufklärungsbroschüre des
Bundesministeriums für Gesundheit
„BIS 2030“
nachgereicht?
Antwort der Bundesregierung:
Bei
dem von der Bundesregierung
erstellten und veröffentlichten
Dokument
"Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C
und anderen sexuell übertragbaren Infektionen BIS 2030
- Bedarfsorientiert
- Integriert
- Sektorenübergreifend" handelt es sich nicht um eine Aufklärungsbroschüre. Das Dokument
bildet vielmehr den
Rahmen für die nachhaltige und erfolgreiche Eindämmung von HIV,
Hepatitis B und C sowie anderer sexuell übertragbarer
Infektionen. Auf Einzelmaßnahmen
wird hierbei nicht im Detail
eingegangen.
Stellungnahme des VOB e.V.:
Auch wenn genannte Broschüre nicht als Aufklärungsbroschüre deklariert ist, soll sie den Rahmen bilden für die Eradikation der genannten Krankheiten. Ohne die Erwähnung des Risikos, in den 1980er Jahren durch verseuchte Blutpräparate mit HIV und/ oder Hep C infiziert worden zu sein, bleibt dieser
Rahmen lückenhaft. Eine deutliche, diskriminierungsfreie Erwähnung des Risikos ist unumgänglich, um weiteren Schaden von den Menschen abzuwenden. Es ist höchst notwendig geboten, jede Anstrengung zu unternehmen, unerkannt infizierte Menschen zu finden und ihnen zu helfen.
11.
Frage:
Was unternimmt die Bundesregierung
ggf.
zu der in den Augen der Verfasser
notwendigen
Fortbildung und Sensibilisierung des medizinischen Personals
zum Thema unentdeckte Hep-C-Infektionen außerhalb der klassischen Risikogruppen, was nach Kenntnis der Betroffenen
auch beim medizinischen Personal
viel zu wenig bekannt ist?
Antwort der Bundesregierung:
Für
die
Regelung der Fort- und Weiterbildungen
des medizinischen
Personals
sind die Bundesländer und die jeweiligen Berufskammern
zuständig.
Die Bundesregierung stellt in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, dem Robert Koch-Institut und
medizinischen Fachgesellschaften Informationsmaterialien für die
ärztliche Praxis zur Verfügung,
u. a. zum Themenbereich "Hepatitis-Virusinfektionen". Hierbei werden auch allgemeinmedizinische Settings adressiert.
Stellungnahme des VOB e.V.:
Der VOB e.V. sieht sämtliche Instanzen in der Pflicht, ein großes Bewusstsein für Hep C zu schaffen und sämtliche in Frage kommenden Personengruppen zu finden sowie der bestmöglichen Therapie zuzuführen. Wir verweisen auf Länder wie Ägypten oder Spanien, in denen breite Bevölkerungsschichten getestet wurden und die auf dem Weg, Hep C
einzudämmen, dank der Bemühungen der Regierungen schon erheblich weiter fortgeschritten sind. Erneut bieten wir unser Erfahrungswissen an zur Entwicklung von Test-
und Aufklärungsstrategien.
Immer erreichbar sind wir unter info@nochleben.de.
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