Text Jürgen Möller-Nehring, Lynn Sziklai
Die Hepatitis C wird wie die Hepatitis B in erster Linie über Blut und Blutprodukte übertragen. Bis in das Jahr 1990 waren auch viele Hämophilie-Patienten betroffen, die zum Beispiel bei operativen Eingriffen auf Spenderblut/-plasma oder auf aus menschlichen Serum hergestellte Gerinnungspräparate angewiesen waren. Damals wurden Hepatitis C und auch B vielfach unbemerkt auf diese Patienten übertragen. Mit der Einführung moderner Testverfahren, mit deren Hilfe heute über 99 % der Hepatitis-C-positiven Spender identifiziert werden können, besteht nur noch ein minimales Risiko einer Ansteckung durch eine Blutübertragung. Ein weiterer möglicher Infektionsweg ist eine Lebertransplantation. Ebenso kam es bis 1990 zu zahlreichen Übertragungen im Rahmen der Spenderblutversorgung bei operativen Eingriffen und in der Notfallversorgung.
In den 70er und 80er Jahren sind ca. 4.500 Hämophile (Bluter) in den neuen und alten Bundesländern durch verunreinigte, nicht virusinaktivierte Gerinnungspräparate mit HIV und/oder Hepatitis C-Viren (HCV) infiziert worden.
Verlauf:
Eine Neuinfektion (“akute Hepatitis C”) führt nur selten zu Symptomen und kann bei etwa 20-50% der Betroffenen in den ersten sechs Monaten von selbst ausheilen. Meistens wird die akute Infektion jedoch chronisch (50-80%) und das Virus bleibt dann dauerhaft im Körper. Eine chronische Hepatitis C verläuft von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Wird sie nicht behandelt, kommt es nach zwei bis drei Jahrzehnten bei 15 bis 30% der Betroffenen zu Spätfolgen wie Zirrhose und Leberkrebs. Durch neue sehr wirksame Medikamente ist die eigentliche Hepatitis C jedoch seit 2014 fast immer heilbar.
Durch den chronischen Verlauf kam es jedoch bei vielen Langzeitinfizierten zu ausgeprägten gesundheitlichen Schäden und irreversiblen Prozessen, wie Leberzirrhose, welche im Gegensatz zu der Leberfibrose in der Regel nicht mehr heilbar ist und so Langfristig zum Tod durch Leberversagen führt. Weiter treten Folgeerkrankungen wie Depressionen, Gedächtnisstörungen und Varizenblutungen auf.
Wie bereits aus einem Schreiben der Deutschen Hämophilie Gesellschaft (DHG) aus dem Jahr 2015 hervorgeht war die Gefahr bereits 1975 bekannt:
„Bereits 1975 hatte Prof. Schimpf aus Heidelberg auf die erheblichen Gefahren einer Hepatitis-C-Infektion (damals noch Hepatitis non A/non B genannt) hingewiesen. Seit Ende der 70er Jahre bestand die Möglichkeit, Gerinnungsfaktoren mit Wärme oder dem Zusatz von chemischen Verbindungen zu behandeln, um noch vorhandene Viren abzutöten (Virusinaktivierung). In Deutschland stand schon ab 1976 ein virusinaktiviertes PPSB-Konzentrat der Firma Biotest zur Verfügung, 1978 kam ein pasteurisiertes Produkt der Firma Behring im Rahmen von klinischen Studien zur Anwendung (1981 Marktzulassung). Die Aussage die wir in Gesprächen mit Politikern immer wieder hören, dass die HCV-Infektionen bei Hämophilen bis weit in die 80er-Jahre hinein schicksalhaft und unvermeidbar gewesen seien, ist somit nicht haltbar.
Die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen sind jedoch bis Mitte der 80er Jahre sträflich und wider besseren Wissens von Seiten der Pharmazeutischen Industrie und des damaligen Bundesgesundheitsamtes vernachlässigt worden. Dies hatte zur Folge, dass sich Tausende von Blutern in Westdeutschland mit Hepatitis C-, Hepatitis B- und HI-Viren infiziert haben. In der ehemaligen DDR sind Hämophile noch bis zur Wende mit nicht virusinaktivierten Gerinnungsfaktoren behandelt worden.
Im Gegensatz zu Deutschland haben sich zahlreiche andere Länder zu ihrer Verantwortung bekannt und zahlen Entschädigungen an ihre HCV-infizierten Bluter“
International gibt es bereits viele Entschädigungszahlungen für Betroffene:
In Europa wurden in den letzten Jahrzehnten viele Entschädigungsprogramme aufgelegt. Seit 1996 in Irland, seit 2000 in Ungarn, seit 2002 in Spanien und Schweden, seit 2004 in Großbritannien sowie seit 2009 in Frankreich werden Hämophile welche sich über Gerinnungspräparate mit Hepatitis C infiziert haben von Seiten der jeweiligen Regierungen entschädigt.
International kommen seit 1998 noch Canada dazu. Sogar der Iran gehört zu den Staaten die Ihre Verantwortlichkeit und ihre Verantwortung gegenüber den Opfern dieses Medizinskandal anerkennen und die Betroffenen entschädigen.
Wir als VOB e.V. berufen uns im Namen der Opfer auf den:
Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses des Bundestages „HIV-Infektionen durch Blut- und Blutprodukte" (BT-Drucksache 12/8591)
Dieser Abschlussbericht vom November 1994 bestätigte bereits, dass das Fehlverhalten staatlicher Behörden zur HCV-Infizierung von mehr als 3.000 Hämophilen beigetragen hat. Er enthielt auch die Forderung, dass in Zukunft das Thema der HCV-infizierten Hämophilen behandelt werden sollte.
Hier einige Auszüge aus dem Abschlussbericht:
Die Risikoeinschätzung und die Reaktionen in Deutschland (Tatsachenfeststellung) in punkto Hepatitis (Zusammenfassung, S. 122):
„Das BGA war über die Gefahr einer Übertragung von Hepatitis-Viren durch Blut und Blutprodukte Ende der 60er / Anfang der 70er Jahre informiert; dies ist neben der Kleinen Anfrage aus dem Jahr 1974 zur Einfuhr von Blut und Blutbestandteilen u.a. auch aus Unterlagen ersichtlich, in denen das Amt selbst im Rahmen von Zulassungsverfahren für Gerinnungspräparate immer auf diese Gefahr aufmerksam machte.“
„Die Hersteller haben ebenfalls spätestens seit Ende der 60er / Anfang der 70er gewusst, dass die Hepatitis-Übertragung ein großes Problem bei der Anwendung insbesondere von Gerinnungspräparaten darstellt. Sie haben aufgrund dieser Tatsache versucht, Virusinaktivierungsverfahren zu etablieren. Es war ab 1976 für PPSB und ab 1981 für Faktor VIII die Anwendung virusinaktivierter Präparate möglich.“
„Das Wissen um die Übertragung von Virus-Hepatitiden muss für die Ärzte vorausgesetzt werden. Es wurde immer wieder bei öffentlichen Zusammenkünften (z.B. Rundtischgespräche) auf die vor allem bei Hämophilen tödlichen Verläufe dieser Erkrankung hingewiesen.“
„Nach den vorliegenden Unterlagen haben die Hämophilie-Behandler ihre Patienten am häufigsten zwischen 1983/1984 auf virusinaktivierte Präparate umgestellt. Für die Krankenhäuser trifft dies ab 1985 zu.“
„Sowohl Hersteller als auch BGA und Behandler wussten, dass bis zu 90% des Plasmas zur Herstellung von Faktor VIII-Produkten aus den USA eingeführt werden und dass damit ein höheres Infektionsrisiko verbunden war.“
„Die Einführung virusinaktivierter Gerinnungspräparate führte nicht zu einer sofortigen Umstellung aller Hämophilie-Patienten auf diese Präparate bzw. zur Anwendung ausschließlich inaktivierter Präparate bei nicht-hämophilen Patienten. Da beispielsweise das BGA nicht das Ruhen der Zulassung für nicht inaktivierte Präparate anordnete, waren noch über mehrere Jahre neben inaktivierten auch nicht inaktivierte Präparate nebeneinander auf dem Markt erhältlich.“
„Da die frühzeitige Einleitung eines Stufenplanverfahrens für Hepatitis unterblieb, kam es erst im Rahmen des Stufenplanverfahrens für AIDS zu einem Informationsaustausch zwischen Gesundheitsbehörden, Herstellern und Behandlern. Dies ist im Hinblick auf die damals bestehende Hepatitis-Problematik als Versäumnis zu werten."
Risikoabwehrpflichten im Hinblick auf Faktor VIII-Präparate – hinsichtlich Hepatitis (S. 190):
„Das Fehlen jeglicher Reaktionen seitens des Bundesgesundheitsamtes auf die Gefahr der Hepatitis Infektionen muss als Versäumnis und folglich als Amtspflichtverletzung gewertet werden.“
Aus dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses sowie auch aus Unterlagen des BGA wird klar, dass das BGA selbst im Rahmen von Zulassungsverfahren für Gerinnungspräparate immer auf diese Gefahr aufmerksam machte.
Die Bundesregierung und der Bundestag ist sich hinsichtlich Ihrer Versäumnisse und Unterlassungen bezüglich der Hepatitis C Infektionen spätestens seit November 1994 bewusst. Leider kam es trotz dieser Erkenntnisse bis zum heutigen Zeitpunkt, zu keinerlei Entschädigung der Betroffenen seitens der Pharmafirmen oder der Bundesregierung. Es hat weder ein Schuldeingeständnis noch eine Entschuldigung gegeben. Die Betroffenen werden seit nunmehr über 30 Jahren von Seiten der Bundesregierung bezüglich der HCV Probleme im Stich gelassen. Da die frühzeitige Einleitung eines Stufenplanverfahrens für Hepatitis unterblieb, kam es erst im Rahmen des Stufenplanverfahrens für AIDS zu einem Informationsaustausch zwischen Gesundheitsbehörden, Herstellern und Behandlern. Dies ist im Hinblick auf die damals bestehende Hepatitis-Problematik als Versäumnis zu werten.
Erwähnenswert ist allerdings, dass sich im Namen der alten Bundesregierung der Gesundheitsminister für die Hepatititis Opfer der ehemaligen DDR durchaus verantwortlich fühlte und eine Entschädigung auflegte. Auf der Internetseite des BGM ist Herr Spahn zu sehen wie er sich in Betroffenheit an die DDR-Frauen wendet.
"Bundesgesundheitsminister Spahn kündigt Hilfe für Hepatitis-C-Opfer an"
Jens Spahn hat auf unsere Nachfrage, was für ihn eigentlich den Unterschied zu den im Rahmen des Blutskandals mit HC-Viren infizierten Menschen ausmache leider nicht geantwortet.
Deshalb fordert der VOB e.V. als Interessenvertretung der Opfer umgehendes Handeln der neuen Bundesregierung und des neuen Bundestages:
Wir ziehen den Schluss, dass bei den HCV Infektionen dieselben Versäumnisse wie bei der HIV-Infektion vorliegen und deshalb auch die selbe Schuldhaftigkeit. Die nun 30 Jahre dauernde Ignoranz von der Seite des Gesetzgebers in Bezug auf diese Schicksale können wir nicht länger hinnehmen. Deshalb sehen wir es als unsere Aufgaben an, die Bundesregierung und den deutschen Bundestag immer wieder auf Ihre moralische Verpflichtung aufmerksam zu machen. Es ist nicht weiter hinnehmbar, dass das Gesundheitsministerium die Hepatitis-C Infektionen im Rahmen der Geschichte der Bluterbehandlung als ein schicksalhaftes, unabwendbares Ereignis bewertet (H. Gröhe). Es bedarf endlich eines entsprechenden Gesetzes um die Opfer abzusichern, zu entschädigen und in ihrer schweren Krankheit zu unterstützen.
Der VOB e.V. sieht sich als Interessenvertretung aller durch Blut- und Blutprodukte mit Infektionskrankheiten infizierten Patientinnen und Patienten in Deutschland!
Immer erreichbar sind wir unter info@nochleben.de.
Ihr wollt Mitglied beim VOB e. V. werden? Dann freuen wir uns über eure Nachricht an info@nochleben.de oder euren vollständig ausgefüllten Mitglieds-/Förderantrag an
Verband der Opfer des Blutskandals e.V.
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